Gedichte

Mitmenschen, nehmt uns Trauernde an!

Geht behutsam mit uns um, denn wir sind schutzlos.
Die Wunde in uns ist noch offen und weiteren Verletzungen preisgegeben.
Wir haben so wenig Kraft, um Widerstand zu leisten.

Gestattet uns unseren Weg, der lang sein kann.
Drängt uns nicht, so zu sein wie früher, wir können es nicht.
Denkt daran, dass wir in Wandlung begriffen sind.
Lasst Euch sagen, dass wir uns selbst fremd sind. Habt Geduld!

Wir wissen, dass wir Bitteres in Eure Zufriedenheit streuen,
dass Euer Lachen ersterben kann, wenn Ihr unser Erschrecken seht,
dass wir Euch mit Leid konfrontieren, das Ihr vermeiden möchtet.

Wenn wir Eure Kinder sehen, leiden wir.
Wir müssen die Frage nach dem Sinn unseres Lebens stellen.
Wir haben die Sicherheit verloren, in der Ihr noch lebt.

Ihr haltet uns entgegen: Auch wir haben Kummer!
Doch wenn wir Euch fragen, ob Ihr unser Schicksal tragen möchtet, erschreckt Ihr.
Aber verzeiht: Unser Leid ist so übermächtig, dass wir oft vergessen,
dass es viele Arten von Schmerz gibt.

Ihr wisst vielleicht nicht, wie schwer wir unsere Gedanken sammeln können.
Unsere Kinder begleiten uns. Vieles, was wir hören, müssen wir auf sie beziehen.
Wir hören Euch zu, aber unsere Gedanken schweifen ab.

Nehmt es an, wenn wir von unseren Kindern und unserer Trauer zu sprechen beginnen,
wir tun nur das, was in uns drängt.
Wenn wir Eure Abwehr sehen, fühlen wir uns unverstanden und einsam.
Lasst unsere Kinder bedeutend werden vor Euch.
Teilt mit uns den Glauben an sie. Noch mehr wie früher sind sie ein Teil von uns.
Wenn Ihr unsere Kinder verletzt, verletzt Ihr uns.
Mag sein, dass wir sie vollendeter machen, als sie es waren,
aber Fehler zuzugestehen fällt uns noch schwer.
Zerstört nicht unser Bild! Glaubt uns, wir brauchen es so.

Versucht, Euch in uns einzufühlen. Glaubt daran, dass unsere Belastbarkeit wächst.
Glaubt daran, dass wir eines Tages mit neuem Selbstverständnis leben werden.
Euer „Zutrauen“ stärkt uns auf diesem Weg.
Wenn wir es geschafft haben, unser Schicksal anzunehmen,
werden wir Euch freier begegnen.
Jetzt zwingt uns nicht mit Wort und Blick, unser Unglück zu leugnen.
Wir brauchen Eure Annahme.
Vergesst nicht: wir müssen so vieles von neuem lernen,
unsere Trauer hat unser Sehen und Fühlen verändert.

Bleibt an unserer Seite!
Lernt von uns für Euer eigenes Leben!

Erika Bodner

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Da fragt man sich warum sterben Kinder,
junge Menschen,
die nur so kurze Zeit gelebt haben.
Woher wisst ihr, dass sie nur kurze Zeit gelebt haben?
Das ist euer grobes Zeitmaß,
aber das Leben wird nicht mit der Zeit gemessen.
Das ist das selbe als würde man fragen : warum ist dieses Poem, dieses Bild, dieses Musikstück so kurz geraten, warum hat man sie abgebrochen und nicht bis zum Maß der längsten Rede und Stücke, der Größten Bilder ausgedehnt?
Wie das Maß der Länge nicht auf die Bedeutung (die Größe) von Werken der Weisheit und der Dichtung anwendbar ist, so auch nicht auf das Leben.
Woher wisst ihr, welch inneres Wachstum diese Seele in ihrer kurzen Zeit durchlaufen und welchen Einfluss Sie auf andere gehabt hat?
Geistiges Leben lässt sich nicht mit körperlichem Maß messen.
Lew Nikolajewitsch Tolstoi

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Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens

damit doch einige wissen:
es ist nicht warm aber es könnte warm sein

Bevor ich sterbe
Noch einmal sprechen
Von Liebe
Damit noch einige sagen:
Das gab es
Das muss es geben

Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung
auf Glück
damit noch einige fragen:
Was war das
Wann kommt es wieder?

Erich Fried